Eigentlich sollte ich mich wohl geschmeichelt fühlen, dass meine Meinung so vielen so wichtig ist. Jeden Tag werde ich um meine ach so wichtige Meinung gebeten. Von Toiletten-Smileys in rot, gelb, grün. Von Apps auf meinem (Smart)phone, die mit Sternchen winken. Vor allem aber kann ich im Internet nichts machen ohne, dass ich nach meiner Meinung gefragt werde. Wie sind wir? Wie waren wir? Würden Sie uns weiterempfehlen?
UND? Wie war ich?!
Mich erinnert das an einen – glücklicherweise imaginierten –Liebhaber, der nach jedem Mal übereifrig mit vor Erwartung glänzenden Augen fragt: UND? Wie war ich?!
Oder an die Szene aus From Rome with Love, in der Roberto Benigni als Leopoldo über Nacht grundlos berühmt wird und plötzlich zu jeder trivialen Kleinigkeit nach seiner Meinung gefragt wird.
Einen Flug buchen, ein Kleid kaufen, einen veganen Burger liefern lassen. Zu allem muss ich anscheinend eine Meinung haben. Das Flugzeug ist angekommen, das Kleid und der Burger auch. Mehr Meinung habe ich dazu gar nicht.
Selbst die Yoga-Onlineplattform, die es eigentlich besser wissen sollte, fragt mich nach jedem Video ob ich die Praxis zu anstrengend, genau richtig, oder langweilig fand; bittet mich dann um das Verteilen von Sternchen, einer schriftlichen Bewertung von maximal so und so viel Zeichen und gibt mir anschießend noch die Möglichkeit, das Video als Favoriten zu liken.
Das ist beim Yoga ähnlich absurd wie beim Sex. Bei beidem geht es um die Erfahrung und nicht um die technische oder sportliche Leistung.
Wahrnehmen statt bewerten
Dieser Bewertungszirkus nach der Yogapraxis hat mit der Zeit dazu geführt, dass ich mir nun schon während des Yogierens und Meditierens überlege, wie viele Sternchen ich wohl vergebe. Ob es die Sequenz wert ist in den goldenen Kreis meiner Favoriten aufgenommen zu werden. Und anstatt mich auf den Atem zu konzentrieren, schwirren mir Bewertungsfetzen durch den Kopf.
Dieses ständige Bewerten hält mich nicht nur beim Yoga davon ab, mich und meine Umwelt wahrzunehmen. Meinen Körper, den Atem, den Flug, das Kleid, den Burger. Mir eine Meinung zu bilden katapultiert mich raus aus der Erfahrung und rein in meinen Kopf. Dabei ist es egal, ob ich die Erfahrung als positiv oder negativ bewerte. „Boa ist die Sequenz anstrengend und die Stimme der Lehrerin nervig!“ lässt mich ebenso wenig meinen Körper spüren wie „Wow ist die Praxis toll, das werde ich ab jetzt täglich machen!“
Das ist übrigens keine neue Erkenntnis, sondern findet sich schon in den alten Yoga-Sutren. Dort heißt es: sukha-duḥkha puṇya-apuṇya-viṣayāṇāṁ. Das ist Sanskrit und heißt etwa: Gleichmut gegenüber Glück und Leid sowie Gutem und Schlechtem. Und das führt zu einem klaren Kopf, der mich Dinge wahrnehmen lässt.
Daher habe ich mir jetzt vorgenommen, weder Smileys, noch Sternchen oder Herzchen zu vergeben. Ja nicht einmal daran zu denken. Das schafft Raum in meinem Kopf für frischen Wind und das Erleben der Sache selbst. Gedanklicher Minimalismus so zu sagen.
Raum für die wirklich wichtigen Dinge
Versteht mich bitte nicht falsch. Ich finde es grundsätzlich klasse eine Meinung zu haben. Nur nicht zu allem und jedem. Diese ständige Aufforderung, meine Meinung zu jeder Kleinigkeit abzugeben, hält mich davon ab, mir über die wirklich wichtigen Dinge Gedanken zu machen:
Wo ist mein Platz im Leben? Wie kann ich mich putzen ohne den Plastikkontinent zu füttern? Wo lauert das nächste geschmackliche Abenteuer? Und wie bekomme ich noch mehr Glitzer und Konfetti in mein Leben?
Und, seien wir mal ehrlich, so wichtig ist dem Lieferservice meine Meinung gar nicht. Eigentlich gebe ich nur einmal mehr meine Daten her, um deren Werbe- und Produktmarketing zu optimieren. Daher landen bei mir ab jetzt alle „UND? Wie war ich?!“- Mails direkt im Müll. Und wenn ich dich klasse finde dann werde ich es dir schon sagen – versprochen!
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