Radtraining im Winter

Eisbär auf Fahrrad-Rennrad-Hometrainer

Rennradtraining im Winter? Für mich ein Novum. Meine Rennradsaison dauerte bisher jeweils von April bis September. Danach begann für mich zwar nicht der Winterschlaf, dafür aber die Kletter- und Bouldersaison. Entsprechend hart war dann regelmäßig mein Frühjahr – mühevoll musste ich erst einmal meine Grundlagenausdauer wieder herstellen.

Doch mit großen Zielen für die nächste Rennsaison und ausgestattet mit neuem Wissen zum Rennradtraining* wollte ich meine Grundlagenausdauer diesen Winter über aufrecht erhalten. Daneben sollte der Fokus auf Krafttraining und Tempo-Einheiten liegen. Kein Freund der Muckibude, überlegte ich erst, das Krafttraining mit hohen Gängen auf dem Indoortrainer zu absolvieren. Dazu Spinning im Uni-Kurs und gelegentliche Samstagsausfahrten auf dem Mountainbike.

Doch dieser Plan ging so nicht wirklich auf. Hier die vier Lektionen, die ich seit November gelernt habe.

Lektion Nr. 1: Mit Licht gegen Dunkelheit und Kälte – Rennradtraining und Pendeln im Winter funktioniert besser als erwartet

Rennradtraining und Pendeln im Herbst und Winter machen mir selbst bei kalten Temperaturen und Schmuddelwetter erstaunlich viel Spaß. Die alten Wege erscheinen im farbenfrohen Herbstlicht und auch bei Schnee und Eis in ganz neuem Gewand. Mein Körper gewöhnte sich schnell an die Kälte und auch im Dunkeln lässt es sich mit der richtigen Beleuchtung noch gut fahren. So macht mir selbst die 30 km-Fahrt von meiner Arbeit über den Grunewald nach Hause bei vollständiger Dunkelheit (nach 17:00) noch Spaß und fühlt sich einigermaßen sicher an.

Lektion Nr. 2: Schlechtes Wetter gibt es doch – Winterausrüstung für Minimalisten

Eisbär auf Fahrrad, Rennrad im Winter, Mütze und Schal gegen die Kälte, Licht gegen die Dunkelheit

Zwar ist die richtige Ausrüstung wichtig, doch man braucht längst nicht so viel Kram wie einem die Rennradzeitschriften und Radbekleidungshersteller erzählen. Die alte Binsenweisheit – es gäbe kein schlechtes Wetter, sondern nur die falsche Ausrüstung – ist ein guter Verkaufsslogan, stimmt für mich aber nur so halb. Es gibt Wetter, bei welchem mir auch mit der besten Ausrüstung das Radfahren keinen Spaß mehr macht. Schneeregen bei knapp über null Grad zum Beispiel. Gleichzeitig scheint mein Körper zu erstaunlichen Anpassungen fähig, gerade wenn ich ihn nicht in ultra-super-dry-mega-Daunen packe.

Klar ist aber auch: Ohne lange, warme Handschuhe und wärmende, wasserfeste Überschuhe geht nicht viel. Dazu ein langes Wintertrikot, Funktionsunterwäsche und die Windjacke/Regenjacke aus dem Sommertraining. Auch ein handelsüblicher Fleecepulli erfüllt die Funktion eines Wintertrikots ganz in Ordnung. Wer keine teure lange Thermohose kaufen will, kommt auch mit kurzer Bib-Short und einer langen Laufhose obendrüber klar (meine Kombi). Im Herbst reichen auch Beinlinge. Ein Schlauchtuch als Schal, eines als Mütze und los kann es gehen. Ganz allgemein kann ich den Zwiebellook empfehlen. Die teure Thermowinterjacke mag ihre Berechtigung bei Minusgraden haben, bei Temperaturen darüber ist sie mir zu warm. Wer für unterschiedlichste Temperatur und Wetterlagen gerüstet sein möchte, ist besser damit beraten, dünnere Schichten miteinander zu kombinieren.

Lektion Nr. 3: Eisbären gehören nicht in die Sauna – Smartes Indoortraining statt stupides Spinning

Leider musste ich schnell feststellen, dass Spinning für mich gar nicht geht. Spinning in der Gruppe ist für mich schlicht eine Tortur. Und keine gute. Eine gute Tortur ist es, bei 30 Grad den Passo di Giau hochzufahren, oder auch das Stilfser‘ Joch bei Schneeregen. Eine schlechte Tortur dagegen ist, bei 90er-Jahre Elektromusik in der Gruppe auf der Stelle zu treten und dabei zu schwitzen wie ein Eisbär in der Sauna. Diese Sorte Tortur führt bei mir zu keinerlei Befriedigung („ich habe etwas geschafft“, „ich habe den Gipfel erreich“) sondern ist einfach unangenehm und langweilig. Nein, das musste anders werden.

Glücklicherweise wurde das Indoortraining in den letzten Jahren revolutioniert. Moderne Indoortrainer für zuhause lassen sich per App steuern und bieten ein abwechslungsreiches Programm. Der Trainer passt dabei automatisch den Widerstand an virtuelle Berge und sogar  den Fahrtwind an. In der virtuellen Welt von Zwift beispielsweise kurvt man zusammen mit hunderten Gleichgesinnten durch die City of  London, virtuelle Dschungel und Berge oder nimmt sogar an Rennen teil. Andere Apps wie B-Kool bieten real existierende Strecken zum Nachfahren, entweder als virtuelle Welt in 3D oder als Video. Gerade die Videoansicht ist für mich ein echter Hammer. So blicke ich statt auf eine brüllende Spinningleiterin oder den verschwitzen Hintern des Vordermanns auf die grünen Hügel des Schwarzwaldes oder genieße die Aussicht von Alpe d’Huez. Da vergehen eine oder sogar mehrere Stunden Treten auf der Stelle (fast) wie im Flug über die Landstraße.

Lektion Nr. 4: Helikopter im Wohnzimmer unerwünscht – Muskelaufbau am besten in der Muckibude

Eisbär macht im Fitnessstudio Kniebeugen mit Gewicht um seine Muskeln für das Radfahren zu trainieren

Die Idee, das Krafttraining auf den neu erworbenen Indoortrainer zu verlagern, war leider ein Reinfall. Andreas Wagner und Sebastian Mühlenhoff bringen es in Krafttraining im Radsport auf ein schlichtes aber einleuchtendes Fazit: Spezifisches Maximalkrafttraining auf dem Rad geht nicht. Selbst ultrahohe Gänge in steilem Terrain (oder auf meinem Indoortrainer) sind dazu nicht geeignet, weil der Trainingsreiz nicht ausreicht.** Daneben droht mein B-Kool Pro ab 600 Watt – der Geräuschkulisse nach – wie ein Hubschrauber abzuheben und aus dem Fenster zu fliegen. Auch für meine Knie haben sich hohe Gänge an steilen Anstiegen und eine niedrige Trittfrequenz wirklich sehr schlecht angefühlt.

Meine positive Erkenntnis: Krafttraining in der Muckibude macht mir mehr Spaß als erwartet. Die Übungen sind weniger stupide als gedacht. Kniebeugen etwa erfordern hohe Konzentration für das komplexe Zusammenspiel zahlreicher Muskeln. Außerdem motiviert mich die neu gewonnene wissenschaftliche Erkenntnis: Krafttraining macht stärker und schneller!

Mein Fitnessstudio ist zudem ein wundervoll witziger, manchmal trauriger, aber jedenfalls interessanter Ort. Traurig finde ich Menschen auf Laufbändern, die einem unerreichbaren kapitalistischen Schönheitsideal hinterher rennen und doch auf der Stelle treten. Immer wieder erheiternd sind Kraftprotze, die sich mit ihren Kumpels über die neuesten Diäten unterhalten, während sie abwechselnd, wie die Paviane brüllend, unglaubliche Gewichte stemmen. Bei alledem sind „Pumper_innen“ erstaunlich hilfsbereite und soziale Wesen. Und jedenfalls im Wedding ist die Klientel ein guter Spiegel der diversen Bewohner_innenschaft.

Kleiner Tipp für Veganer_innen: Das Mc-Fit (jedenfalls im Wedding) führt auch vegane Recoverydrinks auf Sojabasis. Leider enthalten diese neben Sojaeiweiß auch eine Menge Zucker und sind in Plastik verpackt. Eine gute Alternative findet ihr hier.

Mein Fazit

Rennradtraining im Winter sieht anders aus, als ich erwartet habe und macht zudem großen Spaß. Moderne Indoortrainingsapps haben das Heimtraining revolutioniert und es bleibt abzuwarten, was noch alles kommt. Und auch die klassische Muckibude hat ihre Berechtigung und macht fit für die nächsten Sprints.

Ob und wie sich das Wintertraining im Sommer auszahlt, werde ich bei Zeiten berichten.

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* Joe Friel: Die Trainingsbibel für Radsportler, Covadonga, 2013

** Andreas Wagner und Sebastian Mühlenhoff: Krafttraining im Radsport, Elsevier, 2. Auflage, 2017, S. 127 ff.

 

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Eine Antwort zu „Radtraining im Winter“

  1. […] Nachdem ich den Winter durchgeradelt bin, teils in virtuellen Welten, teils in der echten, stimmte die Fitness. Und so meldete ich mich kurzerhand für vergleichbar günstige 60 Euro in Eschborn-Frankfurt an. Die etwa 100 Kilometer und 1200 Höhenmeter sollten auch Anfang Mai in einer vernünftigen Zeit zu schaffen sein. […]

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