Inside the Scene: Radklassiker Eschborn-Frankfurt

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Die „Klassiker“ stehen im Radsport in erster Linie für die schon lange bestehenden Frühjahrsrennen. Die meisten dieser Rennen kennzeichnen sich durch lange Strecken auf Kopfsteinpflaster oder anderen, eher ungemütlichen Straßenbelägen (z.B. die weißen Schotterwege des Strade Bianchi) und meist hundsmiserablem Wetter. Gerade diese Widrigkeiten machen solche Rennen besonders spannend anzusehen und die Teilnehmer zu echten Helden der Landstraße. Die Teilnahme selbst macht sicherlich weniger Spaß. In einem häufig zitierten Interview, beschreibt Theo de Roy 1984 den Radklassiker Paris-Roubaix ziemlich bildreich:

Dieses Rennen ist ein Witz. Du schuftest wie ein Tier. Du hast nicht mal Zeit zu pinkeln, sondern machst dir in die Hose. Du rutschst durch den Schlamm. Es ist ein Haufen Scheiße.

Etwas später im Interview antwortet de Roy auf die Frage, ob er an dem Rennen nochmal teilnehmen wolle mit „Ja – denn das ist das schönste Rennen der Welt!“

Grund genug, mich selbst einmal an einem echten Radklassiker zu probieren. Weil sich mir jedoch der (Un-)Sinn von Kopfsteinpflaster spätestens seit der Erfindung des Asphalts  nicht erschließt und Frankfurt von Berlin aus dank der Bahn gut erreichbar ist, entscheide ich mich für das Rennen Eschborn-Frankfurt. Das seit 1961 ausgetragene Rennen hat nicht die Tradition eines Paris-Roubaix, gehört aber zu den drei wichtigsten deutschen Eintagesrennen im Profiradsport. Daneben findet regelmäßig ein „Jedermannrennen“ mit verschiedenen Distanzen statt. Weil es der letzte Radklassiker der Saison ist, versprach auch das Wetter angenehmer zu sein und hielt sich sogar daran.

Nachdem ich den Winter durchgeradelt bin, teils in virtuellen Welten, teils in der echten, stimmte die Fitness. Und so meldete ich mich kurzerhand für vergleichbar günstige 60 Euro in Eschborn-Frankfurt an. Die etwa 100 Kilometer und 1200 Höhenmeter sollten auch Anfang Mai in einer vernünftigen Zeit zu schaffen sein.

Carbonlaufräder im IC und Profis als Bettnachbarn

Nach einer guten Anreise per IC (auch Carbonlaufräder lassen sich mit etwas Pappe als Schutz gut an den Fahrradaufhängungen befestigen), die erste positive Überraschung. Ich teilte mir das Hotel mit den Profis vom französischen Cofidis Team. Auch auf der kurzen Vortagesrennvorbereitungstour auf den Feldberg konnte ich reihenweise Profiteams ausmachen und mich so selbst (fast) wie ein echter Radprofi fühlen. Der Taunus ist übrigens ein wirklich schönes Rennradgebiet, auch wenn der Autoverkehr aus Eschborn heraus und sogar den Feldberg hoch die Ruhe stört.

Die Pastaparty des Veranstalters schenkte ich mir, das angekündigte zusätzliche Kartoffelgericht war gerade aus, und die Pasta gab es nur mit Sahne und Speck. Nicht gerade die ideale Rennvorbereitung, schon gar nicht als Veganer. Stattdessen stand bei mir viel Reis, Gemüse und etwas Tofu auf dem Speiseplan und zur Nachspeise lecker getrocknete Mango und dunkle Schokolade.

Vegan an den Start

Eschborn-Frankfurt findet traditionell verlässlich am 1. Mai statt. Wie bei den meisten Jedermannrennen hieß es erstmal früh aufstehen, nur die Profis dürfen länger schlafen. Am Hotelbuffet begegnete man der Frage nach Sojamilch und veganen Aufstrichen mit Unverständnis. Aber schwarzer Kaffee, Brot mit Margarine und viel Obst taten es auch. Für das Rennen kamen zahlreiche selbst gemachte Powerbällchen und vegane Gel-Gummibärchen von Chimpanzee in die Trikottasche (Mein eigenes Powergel ist noch im Entwicklungssprozess).

Nach einer kurzen Aufwärmrunde vom Hotel zum Start ging es dann um 8:45 los. Auf Grund meiner motivierten Angabe von 38 km/h als Durchschnittsgeschwindigkeit und der guten Ergebnisse beim Velothon Berlin und dem Cyclassics Hamburg im letzten Jahr durfte ich im ersten Block starten. Dieser war allerdings bereits um 8:15 (halbe Stunde vor Start) gut gefüllt und so reihte ich mich hinter etwa 150 anderen Fahrer_innen ein. Bei etwa 5 Grad Celsius hieß es dann noch eine halbe Stunde bibbern, bis es endlich los ging und schlagartig wärmer wurde.

Mit 45 km/h durch Frankfurt

Der erste Teil des Rennens verlief wider Erwarten relativ ruhig, obwohl wir mit Karacho (40-45 km/h) nach und durch Frankfurt fuhren und dabei zahlreiche Hindernisse, wie Verkehrsinseln und enge Kurven, meisterten. Das Feld wirkte ruhiger und auch professioneller als z.B. beim Velothon Berlin, bei dem ich meistens schon in der ersten halben Stunde mehrere Stürze miterleben musste und teilweise nur knapp ausweichen konnte.

Richtung Feldberg, dem wesentlichen Hindernis des Rennens, wurde es dann etwas hektischer und das Feld zog sich bei den erstern Hügel auseinander. Da ich es bis dahin trotz fester Vorsätze nicht geschafft hatte, in die vordersten Reihen des Pelotons zu kommen, musste ich so fast am Anschlag so manche Lücke schließen und verschoss wichtiges Pulver.

Als Pacemaker auf den Feldberg

Am Feldberg selbst kam ich leider bereits mit etwas Abstand zur Spitzengruppe an. Jedenfalls konnte ich die Trikots des dominanten (semi-professionellen) Strassacker Teams kaum noch ausmachen. Das Peloton hatte sich in zahlreiche kleinere Gruppen geteilt. Dennoch war die Auffahrt für mich eines meiner bisher geilsten Rennerlebnisse. Mit konstanter Leistung (etwa 300 Watt) konnte ich die ca. 700 hm schön hochpacen und zahlreiche Fahrer_innen überholen und/oder einsammeln, so dass sich langsam eine ganze Reihe an Fahrer_innen in meinem Windschatten einreihte (bei 20-25km/h bergauf ist die Auswirkung des Windschattens durchaus beachtlich). Trotzdem hatte ich noch Kraft die zahlreichen Radsportfans am Wegrand zum Anfeuern anzuspornen. Woohoo. Auch die positiven Zurufe der Mitfahrer hinter mir („Super Tempo – weiter so“ und ähnliches) spornten mich zusätzlich an. So zog der RidingRhino-Zug unter lauten Zurufen und Gejohle ohne ein einziges Mal überholt zu werden gen Gipfel. Ein echtes Hochgefühl.

Für den Anschluss an die Spitzengruppe(n) reichte es leider nicht. Die Topfahrer waren etwa vier Minuten eher oben als unsere Gruppe. Schnell ging es dann wieder runter von der kalten Passhöhe mit 2 Grad. Die Abfahrt war weitgehend ungefährlich. Hier zahlte es sich aus, dass ich sie am Vortag bereits unter die Lupe genommen hatte und so die Kurven zumindest schon mal gesehen hatte.

Die Wand hoch & ein unglücklicher Sturz

Mit dem Feldberg war es allerdings noch nicht getan mit der Kletterei – zwei weitere kurze, aber knackige Anstiege folgten. Unsere Gruppe arbeitete gut zusammen und wir konnten hier und da noch ein paar versprengte Grüppchen einsammeln oder überholen. Schließlich der letzte Anstieg: Der Mammolshainer Stich. Am Vortag war ich ihn bereits runtergefahren. Aber hoch ist die Rampe echt krass. Als sie vor uns auftauchte, dachte ich, wir stehen vor einer Wand. Ein Raunen ging durch die Gruppe. Mit viel Unterstützung der Fans schaffte ich es dennoch gut hoch und konnte mich sogar kurz an die Spitze unserer Gruppe setzen, ohne aber nennenswert Boden gut zu machen. Auf der anschließenden langgezogenen Abfahrt Richtung Eschborn konnten viele wieder aufschließen.

Schließlich ein unglücklicher Sturz (der einzige von mir in diesem Rennen gesehene). Bei um die 45km/h kamen sich zwei Fahrer direkt vor mir zu nahe und verhedderten sich zu einem völlig unnötigen Sturz auf den letzten fünf Kilometern. Ich konnte nur knapp ausweichen und mich trotz Berührung noch auf dem Rad halten. Angesichts dieses Erlebnisses ließ ich es für den Rest des Rennens ruhig angehen.

Immerhin: 89. von 1813 und das als Pflanzenfresser

Das Ziel kam etwas unerwartet und ließ kaum Platz für einen anständigen Schlusssprint. Laut Tacho waren es gerade 100 aber noch nicht die angekündigten 105 Kilometer. Mit einem passablen, aber etwas unter meinen Ziel liegenden 89. Platz fuhr ich schließlich über die Ziellinie.

 

Resumé

Radklassikerfahren kann Spaß machen. Tolle Strecke, super Organisation mit vielen Fans an der Straße (auch wegen des folgenden Profirennens) und erfahrene und nette Rennteilnehmer_innen. Einzig ein veganes Gericht auf der Pastaparty wäre schön.

Eine Topplatzierung ist wohl schwieriger als gedacht. Die vorderen Plätze teilen regelmäßig semi-professionelle Jedermann-Teams unter sich auf. Allein das Strassacker Team verbuchte sechs Fahrer unter den Top 10. Daneben waren die gesponserten Teams Deutsche Kinderkrebsstiftung und BKK Mobil Oil prominent vertreten. Dennoch, ich nehme mir fest vor auch nächstes Jahr wieder dabei sein und vielleicht mit etwas Glück und Windschatten an den Spitzengruppen dran bleiben.

Jetzt geht es erstmal wieder ans Training für meine ersten Starts in der Rennserie des MOL-Cup und die zweite Teilnahme an den Cyclassics Hamburg im August. Ich werde berichten.

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